Gestern startete die Deutschland Tour, das wichtigste deutsche Etappenrennen im Straßenrennen. Insgesamt 120 Radprofis mit 20 Teams kämpfen von St. Wedel nach Bremen um den Etappen- und Gesamtsieg. Morgen geht auch die Tour de Berlin – Internationales Youngsters Race in die zweite Runde. Hier treten insgesamt knapp 250 Nachwuchssportler_innen gegeneinander an.
Jens Voigt zum Stand des deutschen Radsports
Jens Voigt, der 2006 und 2007 die Deutschland Tour gewann, sagte im rbb24-Interview: „Die Deutschland Tour ist zweifellos das Flaggschiff des deutschen Radsports. Es ist die große und leider auch die einzige Bühne, auf der sich alle deutschen Lokalmannschaften, die eingeladen werden, zeigen dürfen“. Auf die Nachfrage, wie der aktuelle Stand der Dinge des Radsports in Deutschland ist, antwortete er: „Im Augenblick sieht es gut aus für den deutschen Radsport. Wir haben sehr, sehr solide Fahrer.“ Laut Voigt fehle es an den Profis, die auch auf der großen Bühne der Tour de France regelmäßig Etappensiege holen. „Wir haben aber eine Menge sehr gute Fahrer, auch bei den Junioren und in der U23 kommt einiges nach. Um die Zukunft des deutschen Radsports muss uns nicht bange sein.“
Dabei gingen dieses Jahr nur 7 deutsche Fahrer bei der Tour de France an dem Start, zuletzt waren so wenige vor 20 Jahren zu verzeichnen. Und zwischen 2006 und 2021 ging die Zahl der Rennlizenzen im U19-Bereich von 1.054 auf 369 zurück. [sportschau.de]
Claudiu Ciurea schaut positiv in die Zukunft
Im Berlin ist man derweil positiv gestimmt. Vor ein paar Jahren war die Lage „mehr als dramatisch“ gewesen, laut Claudiu Ciurea, Präsident vom Berliner Radsport Verband im rbb24-Interview. „Es standen Fragestellungen im Raum, ob es den Verband überhaupt noch geben kann oder nicht. Wir haben es aber geschafft, ein Team hinter den Verband zu stellen und den Radsport wieder in den Vordergrund zu bringen. Wir wachsen in allen Bereichen und Disziplinen. Unsere Kadersportlerzahlen wachsen ständig und gerade im Nachwuchs haben wir immer mehr Sportler, die sich Richtung Leistungssport bewegen.“
Vor allem die engagierten Ehrenamtler_innen, die „sich wahnsinnig eingesetzt“ haben, sorgen für den Aufwärtstrend des Radsports in Berlin. Jedoch kann dieser Einsatz „nicht unendlich“ erwartet werden. „Wir haben Strukturen aufgebaut, die in Zukunft hauptamtlich getragen werden müssen.“ Negativ sei Ciurea zufolge, „die nicht-optimale Unterstützung seitens Politik und Landessportbund“: „Wir haben zwar den Eindruck, dass der Radsport und das Radfahren einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft haben – und auch für die Politik sehr wichtig sind. Es passiert aber zu wenig, um den Radsport noch weiter voranzubringen.“
Auch Detlef Uibel kommt zu einem ähnlichen Schluss
„Die Ehrenamtlichkeit ist stark zurückgegangen. Das ist ein Riesenproblem.“, so Detlef Uibel, seines Zeichens Bundesstützpunktleiter für den Radsport in Brandenburg im rbb24-Interview, steht fest: „Der bundesweite Trend ist nicht nur im Radsport, auch hier in Brandenburg zu spüren. Deswegen ist es wichtig, dass wir versuchen, mit hauptamtlichen Trainerstellen den Sport wieder zu beleben und strukturell anzugehen, indem wir Nachwuchs sichten.“ „Wir sind gerade dabei, weiße Flecken in Brandenburg wiederzubeleben, zum Beispiel im Norden und Westen, wo der Radsport in den letzten Jahren – speziell auch durch Corona – komplett eingeschlafen ist, gerade im Kinder- und Jugendsport.“ Dabei sei vor allem positiv, „dass wir wieder vermehrt Wettkämpfe haben und dass sich auch die kleinen Vereine bemühen, Veranstaltungen in ihren Regionen durchzuführen.“
Die Tour de Berlin – Internationales Youngsters Race könnte erst der Anfang sein
Von Freitag, den 25. August, bis Sonntag, den 27. August, findet das dreitägige Etappenrennen Tour de Berlin – Internationales Youngsters Race statt. Mit dem Tempelhofer Feld und dem Rennen rund um das Olympiastadion sind dieses Jahr wieder zwei besondere Berlin-Locations dabei. Mit knapp 250 Starter_innen in 60 Teams in den Altersklassen U13 und U15 starten dieses Jahr 300 Prozent mehr Nachwuchssportler_innen als noch im vergangenen Jahr. „Auch international werden wir als Standort Berlin wieder wahrgenommen. Knapp 25 Prozent der Starter kommen aus dem Ausland. Diese internationalen Begegnungen sind für Kinder auch sehr wertvoll.“, so Claudiu Ciurea im rbb24-Interview. „Solche Veranstaltungen dienen dazu, den Eltern und Kindern die Sportart zu präsentieren. Die Kinder sollen die Chance bekommen, mal reinzuschnuppern und ein Gespür für den Sport zu bekommen. Eventuell können wir den ein oder anderen auf diese Weise dafür begeistern, in einen Verein einzutreten.“
Jens Voigt im rbb24-Interview: „Es ist wichtig, dass die Kleinen auch mal eine große Bühne bekommen und nicht nur in irgendeinem Gewerbegebiet unter Ausschluss der Öffentlichkeit fahren.“ Abschließend meint er: „Das Leben schwingt auf und ab. Wissen Sie noch, wie groß Tennis mit Becker und Graf war? Im Radsport gibt es genügend Fahrer. Es hängt aber immer von einem Verein, einer einzelnen Person ab, die alles mitreißt. Es braucht ein, zwei Leute mit Herzblut – und dann könnte es in jedem beliebigen Ort Deutschlands eine Ringer-Hochburg, eine Boxer-Hochburg oder eine Radsport-Hochburg geben.“